Papierseekarten - Blau ist kein Zustand: redde dagen

Papierseekarten

Warnung: in diesem Kapitel ist die Argumentation auf der Grundlage der gesetzlichen Regelwerke besonders aufwendig !

Wir gehen davon aus, dass die SchSV in diesem Falle für unser Schiff anwendbar ist.

Angesichts von überall verfügbaren elektronischen Seekarten bekommt dieses komplexe Thema zunehmend Relevanz in der Diskussion. Die deutschen Behörden stehen bisher noch auf dem Standpunkt, dass “aktuelle Seekarten in Papierform” an Bord mitgeführt werden müssen, bleiben aber die nötige klare Rechtsgrundlage für diese Forderung schuldig.

Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) hat einige (gesetzlich allerdings nicht verbindliche) Regeln und Tips  für den Wassersport auf Bundeswasserstraßen unter dem Titel

»» Sicherheit auf dem Wasser

herausgegeben.

1. Perspektive “Ausrüstungspflicht

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Darin wird unter dem Abschnitt “Nautische Ausrüstung” aufgezählt:

– Steuerkompass,

– ein Peilkompass oder eine andere Peileinrichtung,

– Echolot,

aktuelle Papier-Seekarten und/oder elektronisches Seekartensystem und Unterlagen für das Fahrtgebiet,

– Bleistift, Zirkel und Kursdreiecke (bei Nutzung Papier-Seekarten),

– Radarreflektor,

– Seefunkanlage zur Teilnahme am GMDSS,

– einschlägige Verkehrsvorschriften für das Fahrtgebiet,

Schiffstagebuch.

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Die Anwendbarkeit der Schiffssicherheitsverordnung SchSV auf Sportboote hängt davon ab, ob Sportboote in den Anwendungsbereich des übergeordneten Schiffssicherheitsgesetzes fallen, auf das diesbezüglich referenziert wird. Die dortigen Begriffsbestimmungen gelten auch für die SchSV und lauten

§ 2 Weitere Begriffsbestimmungen und Ausnahmen vom Anwendungsbereich
(1) Schiffe im Sinne dieses Gesetzes sind
1. Seeschiffe, die die Bundesflagge führen;

Nach dem FlaggRG ist unser Boot im gesetzlichen Sinne ein “Seeschiff“.

Damit fällt es in den Anwendungsbereich der Schiffssicherheitsverordnung (SchSV), es sei denn, die Sportboote sind in Einzelfällen ausdrücklich von den dortigen Regelungen ausgenommen.

2. Perspektive “Verhaltenspflichten”

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In der SchSV ist zum obigen Thema zu finden:

§ 13 Verhaltenspflichten

(1) Der Eigentümer eines Schiffes, das die Bundesflagge führt, hat dafür zu sorgen, daß

2. auf der Brücke stets folgende Unterlagen vorhanden sind:

a) die für die jeweilige Seereise erforderlichen amtlichen Ausgaben von Seekarten … bei Sportbooten im Sinne der Sportbootführerscheinverordnung-See genügt es, wenn an Bord nichtamtliche Ausgaben mitgeführt werden,

Von Papierseekarten ist hier keine Rede.

Für die Erhebung von Bussgeldern (es gibt auch Verwarnungsgelder z.B. nach Belehrung durch die Polizei) für Ordnungswidrigkeiten ist eine entsprechende Rechtsvorschrift (Verordnung oder Gesetz, z.B. SeeSchiffahrtsStraßenOrdnung oder Schiffssicherheitsverordnung etc.) Voraussetzung, gegen die nachweislich verstoßen wurde.

Lediglich die SchSV schreibt in §13(1)2. a) wie oben zitiert das Mitführen (für Sportboote: nicht amtlicher) Seekarten vor (von “aktuell” steht an dieser Stelle nichts; es spielt nach unserer Auffassung auch keine Rolle, dass Sportboote üblicherweise keine “Brücke” haben).

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Der Buß- und Verwarnungsgeldkatalog Binnen- und Seeschifffahrtsstraßen (»» BVKatBin-See) sieht Bußgelder bei Verstößen vor.

Bussgelder

Folgen bei Verstößen (BVKatBin-See) gegen §13(1)2. a) SchSV:

laufende Nr.| Tatbestand | Verwarnungsgeld | Bußgeld

34.100410 | Unterlassen der Verpflichtung dafür zu sorgen, dass auf der Brücke stets folgende Unterlagen vorhanden sind: a. die für die jeweiligen Seereisen erforderlichen amtlichen Ausgaben von Seekarten und Seebüchern | – | 100 € bis 2.500 €

(Letzteres wohl eher für die Berufsschiffahrt).

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Das Bussgeld schuldet der Eigner. Die amtlichen Ausgaben sind allerdings für Sportboote (s.o.) nicht vorgeschrieben.

Wie sind also “Sportboote” im Sinne des Bußgeldkatalogs beschrieben ? Als “Sportboote“ werden dort solche verstanden, die der See-Sportbootverordnung unterliegen. Die dortige Definition lautet (auszugsweise):

§ 2 Begriffsbestimmungen

(1) Im Sinne dieser Verordnung sind

1. Sportboote Wasserfahrzeuge …, die zu Sport- und Freizeitzwecken bestimmt sind,
2. Sport- und Freizeitzwecke die nicht gewerbsmäßige Nutzung eines Wasserfahrzeugs zu wassersportlichen Aktivitäten, zur Fortbewegung, zur Erholung oder zum Vergnügen an Bord; … ,
3. große Sportboote Sportboote mit Kajüte und Übernachtungsmöglichkeiten, die für Fahrten seewärts der Basislinie (Küstenmeer, küstennahe Seegewässer, Hohe See) geeignet und bestimmt sind, insbesondere Segel- und Motoryachten, (ohne Längenangabe !)

Unser Boot ist also im Sinne der SeeSpbootV ein “großes Sportboot”.

3. Perspektive “Anwendbarkeit von SOLAS” auf unser Boot

Die SOLAS Regeln sind grundsätzlich nicht für Sportboote anwendbar. 

SOLAS

SOLAS CHAPTER I GENERAL PROVISIONS

PART A-APPLICATION, DEFINITIONS, ETC.

Regulation 3

Exceptions

(a) The present Regulations, unless expressly provided otherwise, do not apply to:

(v) Pleasure yachts not engaged in trade.

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Interessanterweise referenziert die SchSV dennoch auch für Sportboote auf SOLAS:

Die relevanten Abschnitte SOLAS in Kapitel V Regel 19 nehmen bis auf wenige Ausnahmen aber die Sportboote auch nicht explizit aus. Dort wird gefordert:

REGULATION 19 – Carriage requirements for shipborne navigational systems and equipment

1 Application and requirements

Subject to the provisions of regulation 1.4:

1.1 Ships constructed on or after 1 July 2002 shall be fitted with navigational systems and equipment which will fulfil the requirements prescribed in paragraphs 2.1 to 2.9.

dort:

2 Shipborne navigational equipment and systems

2.1 All ships irrespective of size shall have:

.4 nautical charts and nautical publications to plan and display the ship’s route for the intended voyage and to plot and monitor positions throughout the voyage; an electronic chart display and information system (ECDIS) may be accepted as meeting the chart carriage requirements of this subparagraph;

In dem letzten Abschnitt ist auch hier nicht von Papierkarten die Rede.

Im Übrigen werden “nautical charts and nautical publications” nur für die “intended voyage” verlangt (und z.B. keineswegs für die gesamte Ostsee);

4. Perspektive “auf dem neuesten Stand”

SOLAS Kapitel V Sicherung der Seefahrt, Regel 27 Seekarten und Nautische Veröffentlichungen

Seekarten und nautische Veröffentlichungen wie Seehandbücher, Leuchtfeuerverzeichnisse, Nachrichten für Seefahrer, Gezeitentafeln und alle sonstigen für die beabsichtigte Reise erforderlichen nautischen Veröffentlichungen müssen angemessen und auf dem neuesten Stand sein.

Damit ergibt sich zwar die Forderung nach dem “neuesten Stand” aus SOLAS, nur: SOLAS ist für unser Sportboot nicht anwendbar (s.o.).

Außerdem wird hier auf die “beabsichtigte Reise” eingeschränkt und keinerlei Definition oder Beleg für “auf dem neuesten Stand” angeführt. Dass der neueste Stand nur durch Papierseekarten belegt werden kann, ist auch diesem Abschnitt nicht zu entnehmen.

Ein Verstoß gegen SOLAS wäre in Deutschland demzufolge bei nicht-kommerzieller Nutzung kaum bussgeldbewehrt, weil der Bussgeldkatalog sich nur auf die amtlichen Seekarten bezieht, die für Sportboote nicht verpflichtend sind und außerdem die SOLAS Regeln für Sportboote nicht greifen (s.o.).

5. Perspektive “Seemännische Sorgfaltspflicht”

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Im Zusammenhang mit der Erfordernis von Papierseekarten wird oft der unbestimmte Rechtsbegriff der “seemännischen Sorgfaltspflicht” strapaziert. Abgesehen davon, dass diese Pflicht sich nicht nur auf Seemänner beziehen sollte, ist der Begriff auch nirgendwo wörtlich in Regelwerken zu finden.

Die SeeSchStrO spricht in § 3 (1) Grundregeln für das Verhalten im Verkehr  (Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gewährleistet und dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Er hat insbesondere die Vorsichtsmaßregeln zu beachten, die Seemannsbrauch oder besondere Umstände des Falles erfordern. ) von “Seemannsbrauch”,

Die Kollisionsverhütungsregeln KVR sprechen in Regel 2 a) Verantwortlichkeit (Diese Regeln befreien ein Fahrzeug, dessen Eigentümer, Kapitän oder Besatzung nicht von den Folgen, die durch unzureichende Einhaltung dieser Regeln oder unzureichende sonstige Vorsichtsmaßnahmen entstehen, welche allgemeine seemännische Praxis oder besondere Umstände des Falles erfordern.) von “allgemeine seemännische Praxis”

Angeblich erfordere die seemännische Sorgfaltspflicht, dass aktuelle Seekarten immer verfügbar sein müssten und das ließe sich mit elektronischen Seekarten nicht realisieren, weil u.a.

– GPS Signale unsicher seien

– bei Tablet und Smartphone Akkus entladen sein könnten

Bei uns an Bord läuft die elektronische Navigation am MFD unter Verwendung von Navionics Karten (NV Karten sind für Raymarine nicht verfügbar). Außerdem sind Papierkarten von NV (mit dem üblichen Navigationsbesteck) an Bord, auf dem iPad, SmartPhone und Laptop stehen ebenfalls digitale Karten von NV und von Navionics zur Verfügung. Die digitalen Karten von NV werden zudem regelmäßig unter Zugrundelegung der relevanten Informationen in den aktuellen Nachrichten für Seefahrer aktualisiert.

Dass alle elektronischen Geräte zeitgleich ausfallen ist extrem unwahrscheinlich, zumal es überall an Bord reichlich Gelegenheit zum Aufladen gibt. Im Übrigen sind die elektronischen Seekarten auch als heruntergeladene offline-Versionen an Bord verfügbar und damit von unzuverlässigen GPS Signalen unabhängig (ebenso wie Papierseekarten).

Außerdem sind die Bekanntmachungen für Seefahrer per e-mail abonniert und können auf mindestens 3 Geräten gelesen werden.

Man möge im Fall der Fälle nachweisen, inwieweit unter diesen Umständen die seemänische Sorgfaltspflicht im Hinblick auf die Aktualität der Seekarten vernachlässigt wurde.

Die ehemalige Kreuzerabteilung des DSV hat vor geraumer Zeit ein Merkblatt zum Thema “Seemännische Sorgfaltspflichten” herausgegeben, das den Begriff folgendermaßen definiert:

“Seemännische Sorgfaltspflichten” sind die vom Schiffsführer durchzuführenden Vorsichtsmaßnahmen, die Seemannsbrauch oder die besonderen Umstände des Einzelfalles erfordern und die er neben den Verkehrsvorschriften im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu erfüllen hat.

Dem ist – auch wenn es keine amtliche Definition ist – nichts hinzuzufügen.

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Wer bis hierhin gelesen hat, hat eine Zusammenfassung verdient:

Für uns heißt das:

– auf der Grundlage der deutschen nationalen SchSV ist eine aktuelle (nicht-amtliche) Seekarte erforderlich. Papierseekarten als Beleg/Voraussetzung für die Aktualität werden in keinem der zitierten verbindlichen Regelwerke erwähnt. Wenn die Seekarte nicht auf Papier verfügbar ist, sollte ein Nachweis der Benutzbarkeit auch bei elektronischen Störungen (z.B. offline als Download) möglich sein. Als aktuell werden in einer Stellungnahme (eine Stellungnahme ist keine Rechtsgrundlage für einen Bußgeldbescheid) der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) Seekarten nur dann angesehen, wenn sie auf dem Berichtigungsstand der Nachrichten für Seefahrer sind.

Nachrichten für Seefahrer NfS (herausgegeben vom BSH) sind digital als pdf-Dateien rückwirkend für die letzten 2 Jahre (2023: 2216 Seiten; 2024: 1096 Seiten) an Bord verfügbar; die NfS beruhen auf den Bekanntmachungen für Seefahrer BfS (herausgegeben von den Wasserstraßen- und Schifffahrtsämtern) und müssen bei privaten Sportbooten nicht an Bord sein. Die BfS werden darüberhinaus bei uns allerdings auch ohne Anerkennung einer Rechtspflicht regelmäßig in digitaler Form von ELWIS per e-mail Abo erhalten. Im Übrigen lassen sich die Aktualisierungen aus den NfS für die amtlichen Karten nicht so ohne Weiteres (z.B. aufgrund unterschiedlicher Symbolik) in die nicht amtlichen Karten (für die sie nicht vorgesehen sind) übertragen.

– sollte wider Erwarten SOLAS für uns rechtsverbindlich anwendbar sein, wären vektorbasierte ECDIS (z.B. unser Axiom Plotter) nur dann akzeptiert, wenn die ECDIS Anlage die amtlichen Anforderungen erfüllt.

Es bleibt abzuwarten, wie sich das Thema entwickelt.

Wir haben jedenfalls neben den elektronischen auch komplette (nicht amtliche) Seekarten in Papierform (nebst Zirkel, Kursdreieck und Bleistift) an Bord – sicherheitshalber.